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Interview mit Cemal Altunkaynak

Seit über 30 Jahren fertigt Cemal Altunkaynak in der unserer Manufaktur hochwertige Messer in Handarbeit und ist inzwischen für weite Teile der Produktion verantwortlich. Der erfahrene Messermacher gibt einmalige Einblicke hinter die Kulissen von Böker, erklärt seine vielschichtige Arbeit und spricht über seinen Werdegang und sein Leben.

 

Was hat Dich dazu bewegt den Beruf des Messermachers zu erlernen und was war Deine Motivation vor über 30 Jahren eine Ausbildung bei Böker zu beginnen?

Nach meinem Schulabschluss war ich 16 Jahre alt und wollte eine Ausbildung beginnen. Bereits seit meiner Jugend habe ich mich sehr für Messer interessiert und hatte schon damals immer eines in der Hosentasche. Solingen war und ist als Klingenstadt weltweit bekannt, sodass es für mich keinen Grund gab, mich außerhalb Solingens umzuschauen. Nach kurzer Suche bin ich auf Böker gestoßen, habe mich sofort beworben und schon bald darauf meinen Ausbildungsvertrag unterschrieben.

 

In welcher Abteilung hast Du Deine Ausbildung begonnen und wie sah Dein Werdegang bei Böker aus?

Meine Ausbildung habe ich damals in der Reiderei begonnen. Ähnlich wie heute ging es innerhalb der Ausbildung für sechs Monate in die Lehrwerkstatt und anschließend zurück zu Böker, wo ich vieles von dem was ich gelernt hatte in der Praxis umsetzen konnte. Ich war schon damals recht wissbegierig und wollte auch neben meinen eigentlichen Aufgaben immer wieder Neues lernen, zum Beispiel wie man die Maschinen in unserer Abteilung perfekt einstellt. In der Urlaubszeit habe ich regelmäßig meinen Meister vertreten und auch so meinen Horizont erweitert. Mein Fleiß hat sich definitiv ausgezahlt, denn nach ein paar Jahren wurde ich zum Vorarbeiter und später auch zum Abteilungsleiter befördert. Man lernt aber nie aus und so kommen auch heute noch immer wieder neue Dinge dazu. Im Laufe der Jahre habe ich mehr und mehr Verantwortung übernommen, sodass ich heute nicht nur für die Rasiermesserabteilung, sondern auch für die Handpliesterei und das Gleitschleifen, die Ätzerei und die Endkontrolle verantwortlich bin.

 

Am Anfang meiner Ausbildung hätte ich mir nie vorstellen können, dass ich über 30 Jahre hier arbeiten würde. Mein Plan war es eigentlich, nach ein paar Jahren mit meinen Eltern zurück in die Türkei zu ziehen. Denn obwohl ich in Deutschland wohne seitdem ich sechs Jahre alt bin, war die Türkei eigentlich immer meine Heimat. Aus ein paar Monaten wurden dann schnell zehn Jahre, und plötzlich hatte ich schon mein 25-jähriges Jubiläum hier bei Böker. Inzwischen ist die Manufaktur ein Teil meiner Heimat geworden, und hier werde ich hoffentlich auch bis zu meiner Rente bleiben. Vielleicht zieht es mich danach ja doch noch zurück in die Türkei.

 

Heute bist Du für zahlreiche Produktionsabteilungen und Mitarbeiter verantwortlich. Wie sieht bei diesen vielfältigen Tätigkeiten ein typischer Arbeitstag aus?

Ich fange um sechs Uhr morgens an. An einem typischen Arbeitstag verschaffe ich mir zunächst einen Überblick über alle offenen Aufträge und prüfe den jeweiligen Status. Wir fertigen in „meinen Abteilungen“ ja nicht nur Messer, sondern auch die dafür notwendigen Bauteile wie Platinen, Federn, Backen und vieles mehr. Hinzu kommt der Bau von Mustern und Prototypen von Neuheiten.

Häufig ergibt sich die Arbeit von selbst, wo hakt etwas oder wo gibt es Probleme mit einer Maschine oder einem Material. Dort bin ich gefragt. Fertigungsschritte, wie zum Beispiel das Schmieden oder das Härten erfolgen zudem meist außer Haus. Auch hier ist es meine Aufgabe den Fortgang der Arbeiten und das Einhalten der Termine im Auge zu behalten.

Wir arbeiten parallel an unterschiedlichsten Produkten, wie Taschenmessern, feststehenden Messern oder Rasiermessern, die sich zudem alle in verschiedenen Arbeitsgängen befinden können. Einen typischen Arbeitstag gibt es bei mir daher gar nicht, jeden Tag steht was Neues an. Ich plane zwar täglich was erledigt werden muss, aber meistens kommt dann doch etwas dazwischen und es muss improvisiert werden. Eigentlich mache ich um 15:30 Uhr Feierabend, Kleinigkeiten wie Schreibarbeiten erledigte ich aber oftmals noch danach. Denn dazu komme ich im laufenden Betrieb einfach nicht immer.

 

Wann sprichst Du von einem erfolgreichen Arbeitstag?

Wenn alle Fristen eingehalten wurden und die geplanten Aufträge problemlos abgeschlossen werden konnten, gehe ich wunschlos glücklich nach Hause.

 

Kannst Du einschätzen, wie viele aktive Aufträge in Deinen Abteilungen täglich bearbeitet werden?

Dabei kommt es natürlich immer sehr auf die zu fertigenden Stückzahlen an, die sich je nach Art des Auftrags stark unterscheiden. Messer fertigen wir in der Regel in Losgrößen von 30 bis 100 Stück, während Aufträge von kleineren Bauteilen wie Backen oder Federn schnell bis zu 2.000 Stück umfassen können. Ich würde schätzen, dass wir im Schnitt an fünf bis zehn Aufträgen am Tag arbeiten.

 

Welche Deiner Fähigkeiten sind besonders schwierig zu erlernen und benötigen besonders viel Sorgfalt und Erfahrung?

Auf jeden Fall die gleichmäßige und einheitliche Bearbeitung von Bauteilen bei einer hohen Stückzahl. Damit das erste Teil genauso aussieht wie das Letzte, braucht man über einen langen Zeitraum viel Konzentration und Fingerspitzengefühl. Im Gegensatz zur automatisierten industriellen Fertigung, bei denen es ausschließlich um Rüstkosten und Mengeneffekte geht, ist für uns Handpliester eine geringe Stückzahl einfacher. Sehr anspruchsvoll ist auch das händische Schleifen und Polieren von Klingen. Dafür braucht es einiges an Erfahrung und insbesondere viel Gefühl.

 

Und was macht Dir besonders viel Spaß?

Ich muss ehrlich sagen, dass mir eigentlich alles viel Spaß macht. Ich stehe jeden Morgen gerne auf und komme zur Arbeit. Ich habe zwar im Laufe des Tages oft Stress und das eine oder andere Problem, das hindert mich aber nicht daran am nächsten Morgen wieder mit viel Energie und Motivation in den neuen Tag zu starten.

 

Was können sich Außenstehende unter dem Begriff „Pliesten“ vorstellen?

Das Pliesten ist das Feinschleifen der Klingen oder Einzelteile von Hand. Nachdem die einzelnen Klingen gestanzt oder gelasert werden und die Fläche geschliffen wurden, kommen sie zu uns in die Handpliesterei. Hier werden sie dann unter Berücksichtigung der Toleranzen und der Funktion des jeweiligen Bauteils per Hand gepliestet, also feingeschliffen. Das Oberflächen-Finish und das Blaupliesten gehören ebenfalls dazu. Blaupliesten ist ein traditioneller Solinger Arbeitsschritt, für den eine Scotchscheibe verwendet wird. Die gesamte Fläche der Klinge wird damit bearbeitet, man erkennt solche Klingen sofort an ihrem bläulich- bis regenbogenfarbenen Schimmer. Es gilt auch heute noch als die höchste Stufe des Solinger Schleifhandwerks.

 

Wie hoch sind die körperlichen und mentalen Belastungen bei der Arbeit?

Ich würde sagen, dass das Körperliche überwiegt. Zum Glück habe ich aber Arbeitskollegen, die mich immer voll unterstützen und mir viel Kraft geben. Ich versuche immer darauf zu achten, mich mental nicht zu sehr stressen zu lassen und nehme mir lieber etwas Zeit zum Durchatmen, damit auch der nächste Tag vernünftig ablaufen kann.

 

Als Schirmherr über Qualität und Endkontrolle hast Du hohe Ansprüche an Deine Arbeit und die Produkte. Wie kritisch bist Du in diesem Zusammenhang mit Dir selbst und Deinen Kollegen?

Die Qualität ist für mich tatsächlich das Wichtigste und jedes Messer sollte schlussendlich so verarbeitet sein, dass ich es selbst auch kaufen würde. Dafür ist es unheimlich wichtig, dass meine Kollegen und ich alle eine einheitliche Vorstellung von Qualität haben. Neben einem fairen Umgang mit meinen Mitarbeitern und Kollegen darf ich die Produktivität meiner Abteilungen dabei aber ebenfalls nicht aus den Augen verlieren.

 

Heute bist Du als Abteilungsleiter und Ausbilder selbst für zahlreiche Auszubildenden verantwortlich. Was gefällt Dir besonders an der Arbeit mit jüngeren Kollegen?

Die Arbeit mit jungen Leuten macht mir immer besonders viel Spaß und gerade unsere jungen „Knife Nuts“ bringen oft ganz eigene Ideen und Vorstellungen mit. Ich war selbst einmal in Ihrer Situation und kann mich gut in sie hineinversetzten. Ich bin sehr froh, dass ich diese alte Handwerkskunst an sie weitergeben kann, denn auch ich werde irgendwann nicht mehr hier sein. Einer meiner Schützlinge wurde erst kürzlich vom Bundespräsidenten als Deutschlands bester Auszubildender seiner Fachrichtung geehrt, da war ich natürlich schon sehr stolz auf ihn. Auch im privaten Leben habe ich oft mit jüngeren Menschen zu tun und geben mein Wissen gerne weiter, sei es beim Fußball oder in einer Tanzgruppe.

 

Wie verbringst Du Deine Freizeit am liebsten?

Am wichtigsten ist für mich natürlich meine Familie, ich habe zwei Töchter im Alter von elf und zwölf Jahren. Ich tanze außerdem gerne, wichtiger ist mir fast nur die Musik. Bereits seit meiner Kindheit spiele ich Saz (Bağlama) und schon früh habe ich gemeinsam mit Freunden jedes Wochenende in unserem Proberaum Musik gemacht und auf Türkisch gesungen. Auch in der Welt der Musik gibt es ständig Neues zu lernen, sie ist eine Art Ausgleich für mich geworden. Irgendwann habe ich auch angefangen auf Veranstaltungen und Feiern aufzutreten, was mir unheimlich viel Spaß macht. Musik ist für mich mein zweites Leben.

 

Hast Du auch einen persönlichen Bezug zu Messern?

Ja, den habe ich definitiv. Ich gehe nicht nur beruflich, sondern auch privat gerne auf Fachmessen und lasse mich inspirieren. Ganz ehrlich, ich kann meinen Beruf nur selten komplett ausblenden und schaue auch bei der Konkurrenz ganz genau auf die Verarbeitung und auf Dinge, die man vielleicht noch optimieren könnte. Und natürlich habe ich auch immer ein Messer zur Hand, ansonsten würde mir wirklich etwas fehlen.

 

Hast Du ein Lieblingsmesser?

Natürlich! Das Böker Scout war das erste Messer, dass ich hier während meiner Ausbildung montiert habe und es bedeutet mir auch heute noch viel. Inzwischen gibt es das Scout zudem in unzähligen Varianten und sogar Größen. Auch das klassische Barlow gefällt mir sehr, es ist wirklich handlich und kann problemlos den ganzen Tag in der Hosentasche getragen werden.

 

Die COVID-19-Pandemie ist auch an Böker nicht spurlos vorübergegangen. Wie erlebst du die deutlichen Einschränkungen im Betrieb und der Verwaltung?

Die Gesundheit geht vor, daher arbeiten wir aktuell in einem strengen Schichtsystem. Wir halten die Abstandsregeln stets ein und tragen natürlich auch während der Arbeit Schutzmasken. Die ganze Welt ist betroffen und wir wissen nicht, was noch auf uns zukommen wird.

 

Die Fertigung von geschmiedeten Rasiermessern erfordert jahrzehntelange Erfahrung. Womit rasiert sich einer der letzten Fachmänner dieses weltweit nahezu ausgestorbenen Handwerks?

Ich selbst rasiere mich mit verschiedenen Rasierern, je nachdem wie viel Zeit ich gerade habe. Wenn es zeitlich eng wird, benutze ich einen einfachen Elektrorasierer. Klassische Rasiermesser verwende ich, wenn ich etwas mehr Zeit habe. Gerade zu Beginn ist man damit natürlich sehr vorsichtig, aber man lernt schnell und wird sicherer. Am liebsten rasiere ich mich mit meinem Böker King Cutter 5/8 Zoll.

 

Hast Du konkrete Ziele für die nächsten Jahre?

Konkrete Ziele habe ich eigentlich keine. Am wichtigsten ist mir, dass ich gesund bleibe und mein Wissen hier bis zu meiner Rente an junge Kollegen weitergeben kann.

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